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Interview

„KLARHEIT IM NEBEL“ ‒ CHRISTOPH RENHART IM MICA-INTERVIEW

13. Januar 2022

CHRISTOPH RENHART ist Komponist und Kurator einer Konzertreihe für Neue Musik im Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten. Seit 2018 lehrt er an der Kunstuniversität Graz. Mit Michael Franz Woels sprach er über den größten Lavasee der Erde, über das heiße Eisen Diatonik und über die dringende Notwendigkeit eines ästhetischen Diskurses über Schönheit in der Neuen Musik.

Auf Ihrer Website habe ich eine kleine gelbe Lego-Giraffe entdeckt. Welche Funktion hat dieser Wegbegleiter für Sie, ist das ein Maskottchen?

Christoph Renhart: Das war ein kleines Geschenk von meiner Freundin. Marketingtechnisch macht das keinen Sinn, aber ich wollte damit etwas machen und ich freue mich, wenn jemand die kurzen Geschichten liest. Ich wollte einen niederschwelligen, amüsanten Beitrag damit gestalten. Eine Website dient ja meist dazu, sich im besten Lichte zu zeigen. Eigentlich widerstrebt mir das Sich-ständig-in-Schaulage setzen. So habe ich die kleine Giraffe vorgeschoben.

Sie irritiert auf eine angenehme Art und Weise und liefert ja auch Einblicke in Gedanken eines Komponisten. Das Thema Selbstvermarktung führt mich zum Ende eines Interviews, das Sie dem Komponisten Gerhard Präsent im September letzten Jahres gegeben haben. Ich möchte daran anknüpfen und noch einmal nachhaken, warum Sie die Musizierenden im Bereich der Neuen Musik als eher konservativ im Umgang mit diversen (neuen) Medien bezeichneten.

Christoph Renhart: Die Neue-Musik-Welt verhält sich in äußerster Weise konservativ. Wir reden gerne von stilistischer Offenheit und Vielfalt, die es ja zweifelsfrei gibt. Aber was man beobachtet ist, dass die Programmierung von großen Konzerthäusern immer wieder die gleichen Namen aufweist. Ich hätte mir gerade in dieser Corona-Zeit etwas mehr Wagemut gewünscht. Neugierde, was es sonst abseits der großen, namhaften Komponierenden noch so alles an jüngeren Stimmen gibt. Im Sommer waren ja viele Leute begierig auf Konzerte, da hätte man dieses Potenzial ausnutzen können, auch für die Neue Musik. Das hat man verstreichen lassen und das war ein Fehler. Wenn es drauf ankommt, werden die großen Konzerte wieder mit ihren „Dinosauriern“ bestückt – auch große Festivals wie Wien Modern wandern mir zu sehr auf ausgetretenen Pfaden. Sie haben schon ihre Berechtigung, aber ich finde das mutlos. Und wenn ich das einmal mit einer anderen meiner Tätigkeiten vergleiche, ich arbeite auch im Bereich des Webdevelopments, dann muss ich sagen, dass man sich so eine Attitüde, so eine Grundhaltung nicht erlauben kann, wenn man auf diesem Markt reüssieren will. Man kann da nicht sagen, wir machen einfach, was Professoren von der Standford Universität vor zwanzig Jahren gemacht haben. Das ist nicht mehr modern, das kann man sich absolut nicht erlauben. Da wird kein neues Start-up daraus; man schafft kein interessantes Produkt für den Markt.

Man sieht im Bereich der Neuen Musik doch viel Epigonentum und relativ wenig Programmverantwortliche, die neue Akzente setzen können und wollen. Das Problem ist da nicht unbedingt im Finanziellen zu sehen. In Österreich kann man als Komponist zu Geld kommen, man muss es auch wirtschaftlich und unternehmerisch denkend angehen und Risiken eingehen, Förderungen nutzen, etc. Das bedingt aber auch die Konsequenz, dass man, wenn es nicht funktioniert, etwas anderes macht. In meinem Fall habe ich einen Plan B, wenn ich meinen Weg künstlerisch nicht gestalten kann. Es gibt immer Möglichkeiten, die sich auftun. Bei mir ist es die IT.

„DA WÜNSCHE ICH MIR EIN STÄRKERES BEKENNTNIS ZUR NEUEN MUSIK.“

Als Komponist ist man ja stark bemüht, Uraufführungen zu bekommen. Da werden viele Eintagsfliegen produziert, das ist zum Teil nicht nachhaltig. Die Neue Musik kann eine wichtige Stimme sein, es entstehen interessante Kunstwerke. Aber qualitätsvolles Arbeiten benötigt Zeit – auch um Dinge ausprobieren zu können. Gerade im Orchesterbetrieb ist es ein riesiges Problem, dass man vielleicht zwei Proben bekommt, um ein neues Stück auf die Bühne zu bringen. Diese Haltung ist überhaupt nicht forschend und wiederum konservativ. Da wünsche ich mir ein stärkeres Bekenntnis zur Neuen Musik, das sehe ich zurzeit nicht. Man will das, was funktioniert. Das ist bequem und nicht innovativ.

Neben Ihrer aktuellen Tätigkeit als Webentwickler sind Sie ja vor allem Pianist, Komponist und auch Kurator. Vielleicht könnten Sie kurz auf Ihre kuratorischen Erfahrungen im Kulturzentrum KULTUM in Graz eingehen.

Christoph Renhart: Das KULTUMKulturzentrum bei den Minoriten ist eine Einrichtung der Diözese Graz-Seckau und wir sind ein Mehrspartenhaus, also eine Galerie mit Literatur-, Diskurs-, Film- und eine Neue-Musik-Sparte, darüber hinaus haben wir Veranstaltungen für junges Publikum. Wir wollen neue Stilistiken zeigen, und wollen jungen Musikerinnen und Musikern ein Sprungbrett anbieten, um sich zu präsentieren. Wir arbeiten sehr eng mit Ensembles oder einzelnen Musizierenden der Kunstuniversität Graz zusammen. Wir wollen auch Netzwerke ermöglichen. Es vermischen sich auch oft unterschiedliche Publikumsteile. Wir haben zum Beispiel heuer eine Pfingstvigil mit drei Kompositionsaufträgen gestaltet. Sânziana-Cristina Dobrovicescu, eine junge Studentin der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (KUG), Antonis Rouvelas, der sein Kompositionsstudium an der KUG abgeschlossen hat, und KUG-Professor Clemens Nachtmann als älterer, schon etablierter Komponist. Die Stücke wurden vom Ensemble Airborne Extended gespielt und dann auch zur Eröffnung der neu renovierten Minoritensäle wiederaufgeführt. Der Rahmen, den uns die Kirche da bietet, ist besonders gut, weil die Neue Musik mit einem anderen Publikum in Berührung kommt.

Sie kuratieren seit 2017 für »KULTUM, Zentrum für Gegenwart, Kunst und Religion in Graz«?

Christoph Renhart: Ja, und wir machen auch alle zwei Jahre ein Festival. Letztes Jahr haben wir die ersten Tage der Neuen Klaviermusik Graz ins Leben gerufen. Das hat wunderbar funktioniert, an Bord waren auch viele junge Pianistinnen und Pianisten der KUG. Es gab im Rahmen des Festivals auch einen Kompositions- und einen Interpretationswettbewerb. Die Veranstaltungen war gut besucht, wurde auch vom ORF ausgestrahlt und aufgezeichnet. Wir versuchen also immer wieder punktuell, Events für eine breitere Öffentlichkeit zu machen.

Sie sind ja auch als Senior Lecturer an der KUG tätig. Welche Fächer unterrichten Sie da genau?

Christoph Renhart: Ich unterrichte musiktheoretische Fächer: Grundlagen der Musiktheorie und Formenlehre. Heuer hatte ich das erste Mal einen Kurs für professionellen Notensatz. Das wird neu angeboten. Das layout-technische Setzen am Ende mit dem Computer ist heute Standard. Im Kurs lernen die Studierenden auch, was man bei der Erstellung von Notenmaterial mit Computergrafiken beachten sollte: Was macht ein gutes Stimmenmaterial aus? Wie liest man gut Korrektur, so dass keine Fehler im Stimmenmaterial entstehen, die dann viel Probezeit kosten können?

Fallen Ihnen da bezüglich der Herangehensweise der Studierenden spezielle Aspekte auf?

Christoph Renhart: Ich beobachte, dass die Studierenden unglaublich viel Wissen hinsichtlich der Handhabung von Computerprogrammen mitbringen. Man kann auf einem ganz anderen Niveau starten als vielleicht noch vor fünfzehn Jahren. Was mir auch auffällt, ist, dass es weniger Fragen bezüglich diverser Spieltechniken gibt. Es scheint wichtiger zu werden, die schnelle Anwendbarkeit zu fokussieren ‒ das Erstellen von tadellosem Stimmenmaterial in möglichst kurzer Zeit. Und Fragen nach (Sonder-)Zeichengebungen haben meiner Ansicht nach ein bisschen an Bedeutung verloren. Das führe ich auch darauf zurück, dass die Komponierenden heute mehr mit dem Computer arbeiten. Extravagante Grafiken sind aber immer noch handschriftlich leichter zu realisieren. Das wird beim Arbeiten am Computer noch als zeitliche Hürde empfunden, weil es oft stundenlang dauern kann, ein Sonderzeichen zu erstellen. Und das schlägt sich auch kompositorisch nieder, rein von der Methodik her.

Auf Ihrer Soundcloud-Seite gibt es als Hintergrundbild noch Manuskript-Notenblätter mit einem Radiergummi-Close-Up zu sehen. Verschwindet der Radiergummi aus dem Komponierenden-Alltag?

Christoph Renhart: Man kann das nicht so generell sagen. Ich versuche als Komponist ganz bewusst die Anwendung verschiedenster Methoden, um meinen Stil weiterzuentwickeln. Weil ich weiß, dass die immer gleiche Methodik dann auch zu gleichbleibenden Ergebnissen führt. Eine neue Methode, die ich probiert habe, ist zum Beispiel das Experimentieren mit Algorithmen. Ich schreibe einen Stilgenerator, ein Computer-Programm, mit dem ich bestimmte harmonische Prozesse ausrechnen lassen kann. Man lässt sich zum Beispiel einmal eine Seite an Akkorden vom Computer erstellen und spielt das dann selber am Klavier durch und schaut, ob man Möglichkeiten findet und ableiten kann, auf die man per Hand oder durch das Improvisieren am Klavier nicht gekommen wäre. Ich kann das wie einen künstlerischen Prozess der Manuskripterstellung nutzen, um Klanglichkeiten zu entdecken, die ich weiterentwickeln möchte. Ein Kollege von mir, der Komponist Christof Ressi, hat mir erst kürzlich erzählt, dass er das Programm Reaper großartig findet, auch da es das Hineinschreiben von Notizen gut unterstützt. Es eignet sich dadurch seiner Meinung nach gut zum Skizzieren von Klangereignissen und zum Planen von Kompositionen.

„DAS SCHAFFEN EINER ERGREIFENDEN OBERFLÄCHE.“

In der mica austria Musikdatenbank haben sie bei der Stilbeschreibung sehr poetische Worte gefunden: »In meiner Musik versuche ich, ins Gestrüpp zu poetischen Fragmenten geschmiedeter Silben Pfade zu leuchten, dort entlang man den Unwägbarkeiten musikalischer Aussagen einerseits misstrauen, dem Funkelbad ästhetischen Überflusses dennoch vollends erliegen mag.« Wie würden Sie mir heute Ihren Stil beschreiben, ihre aktuellsten Entwicklungen?

Christoph Renhart: Ich würde auf den bildenden Künstler Joan Miró verweisen. Was ich an ihm sehr schätze, ist das Schaffen einer ergreifenden Oberfläche ‒ mit vielen Mechanismen im Hintergrund, die auf den ersten Blick gar nicht so auffallen. Mir ist es genauso wichtig, einen ersten Eindruck zu hinterlassen, der einen mitnimmt. Eine Formgestaltung zu erreichen, die beim ersten Hören überzeugt und Interesse weckt, tiefer hinein schauen zu wollen. Ich möchte ausgehörte Klänge; stets das Gefühl haben, dass ich sozusagen alle „Stationen eines Klanggeschehens“ abgeschätzt habe. Die formale Gestaltung muss gut durchfühlt und innerlich durchhört sein. Die Bilder L’or de l’azur (1967), Paysan catalan à la guitare (1924) oder Femme et oiseau dans la nuit (1945) von Miró sind da ein Vorbild für mich, weil sie in der Formsprache unglaublich klar sind und überzeugende Farben bieten können. Sie laden mich aber auch ein, nachzufragen, was die einzelnen Figuren und Formen bedeuten könnten. Miró abstrahiert seine Ideen, deutet seine Figuren in emanzipierter Form an.

Musik kann in ihrer emotionalen Aussage sehr konkret sein. Von daher rührt auch mein Bestreben, mich zuvor sehr um die „großen Oberflächen“ zu kümmern. Es ist schwierig, von der konkreten Bedeutung der einzelnen Klänge auszugehen, um damit eine Erwartung zu bauen. Politische Aussagen zu treffen, kann Musik eher schlecht. Ich könnte Ihnen zum Beispiel ohne weiteres einen Aufsatz darüber schreiben, warum der italienische Komponist Luigi Nono besonders unkommunistisch war. Man kann also leicht einen falschen Kontext um eine kompositorische Absicht erzeugen. Wenn ich mich konkreter ausdrücken müsste, würde ich eine andere Kunstform wählen. Ein Text oder ein Bild können viel präziser sein, wenn es darum geht, eine klare Absicht zu transportieren. Musik kann, glaube ich, schlecht konkrete Aussagen treffen, wie: „Die Welt ist grau“ oder „Der Himmel ist blau“. In ihrer emotionalen Wirkung wiederum kann sie sehr direkt sein. Insofern bin ich ein Komponist, der sich dieser Art der Poetik und der künstlerischen Gestaltung vordergründig widmet. Im Rahmen eines Vortrages an der Universität Leipzig für ein Seminar des Komponisten Bernd Franke habe ich unlängst über „Klarheit im Nebel“, eines meiner Lieblingsthemen meine Werke betreffend, gesprochen. Das bezog sich auf kompositorische Strategien in meinen neueren Werken – vor allem in Hinblick auf die harmonische Gestaltung.

Eine Frage, die mich kompositorisch unglaublich interessiert: Wie kann ich inmitten einer klanglichen Wolke mit sehr viel Klangmaterial und auch Mikrotönen ‒ wenn ganz „dicke Akkorde“ zusammenklingen ‒ wie kann man in so einer Situation Klarheit schaffen? Wie kann man in so einer Situation kompositorisch bewirken, dass es harmonische Spannungsverläufe gibt? Wie kann ich das strategisch gestalten? Wie kann ich Harmonien durchschimmern und in ihrer „Farblichkeit“ wahrnehmbar werden lassen? Das habe ich auch auf meinem Blog angedeutet, welche Methoden ich da im Klavierzyklus „XXI Orakel der Nacht“ angewendet habe. Das heiße Eisen diatonischer Strukturen traut man sich als zeitgenössischer Komponist fast nicht mehr anzugreifen. Aber die Fragen im Kontext eines 16-stimmigen Akkordes mit Mikrotönen: Wie könnte man mit einer diatonischen Struktur im Vordergrund punktuell harmonische Fasslichkeit herstellen? Wie gestaltet man damit größere formale Abschnitte und dramaturgische Verläufe? Dieses Spannungsfeld interessiert mich kompositorisch: einerseits das Herstellen einer unheimlich komplexen Situation, auf der anderen Seite das erlebbare Strukturieren dieser Komplexität.

Das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, das Klangforum Wien, das Hugo Wolf Quartett, das Ensemble Kontrapunkte oder das Ensemble die reihe sind nur einige der prominenten Ensembles, die sich intensiv mit Ihren Stücken auseinandergesetzt haben. Es gibt von Ihnen eine Porträt-CD, die in der ORF Edition Zeitton 2017 erschienen ist. 2020 ist das Klavierstück „XXI Orakel der Nacht“ von Ihnen auf der CD Richard Dünser „Klavierwerke“ (VMS/Zappel Music Records) veröffentlicht worden. Sind weitere CD-Veröffentlichung geplant?

Christoph Renhart: Aufnahmen dieser Art sind für Komponierende absolut wichtig, um unsere Musik zugänglich zu machen. Wir wissen, dass wir in unseren Konzerten in der Off-Abo-Szene, wenn man nicht zufällig einmal vom Wiener Konzerthaus oder dem Wiener Musikverein für ein Publikum von 500 Leuten programmiert wird, durchschnittliche mit Zuschauerzahlen zwischen fünfzig und hundert Personen rechnen können. Es ist wichtig, Konzerte dokumentarisch festzuhalten, denn in Ensemble-Stücken steckt viel Geld drin, das man auch verantwortungsvoll verwenden muss. Wir haben also einen Auftrag, Konzerte wirklich sorgfältig und auf gutem Niveau zu dokumentieren. Damit eine Chance auf Nachhaltigkeit und Wiederverwertung gegeben ist. Und dann müssen wir darauf schauen, dass diese Dokumentationen auch zugänglich werden. Vor allem, wenn sie von staatlicher Seite gefördert wurden. In einem Museum sollte man auch als Öffentlichkeit das Recht daran haben, die beste Kunst zu sehen. Es sollten doch Kunstwerke nicht einfach in einem tiefen Speicher zur Wertvermehrung eingebunkert werden. Wir als Komponierende müssen also auch Sichtbarkeit anstreben. Ich finde es zum Beispiel sehr schade, dass man das ORF-Archiv nicht durchsuchen kann, selbst von der Universität aus nicht. Ich wüsste da keinen Zugang. mica – music austria leistet in diesem Bereich ja tolle Pionierarbeit, ich suche oft in der mica austria Musikdatenbank. Letztes Jahr entstand die Dokumentation „In Spirito Mahler“ von der ÖGZM, die auch nach wie vor auf YouTube zu sehen ist. Wir konnten damit viel mehr Publikum erreichen als sonst in einem Konzert. Und für nächsten Sommer ist angedacht, das Programm der ersten Tage der Neuen Klaviermusik Graz im letzten Jahr ‒ also einen guten Teil der aufgeführten Konzerte ‒ auf CD einzuspielen. Es ist natürlich ein gewisses unternehmerisches Risiko dabei, aber ein Anliegen unsererseits, diese Konzerte verfügbar zu machen.

„IN ÖSTERREICH WIRD WENIG ÜBER ÄSTHETIK DISKUTIERT.“

Sie sind auch Teil des Ulysses Network Projects. Dieses Projekt wurde von den Bildungsreisen von Musizierenden des 18. Jahrhundert inspiriert, die ihren Meistern in unterschiedliche Länder nachgereist sind, um sich auf ihren Wanderschaften weiterzubilden und unterschiedliche kulturelle Umfelder zu erleben. Warum sind Sie diesem Netzwerk beigetreten?

Christoph Renhart: Es werden sehr viele Calls über das Ulysses-Netzwerk veröffentlicht, bei denen ich auch immer wieder Kompositionen eingereicht habe. Ich hatte großes Glück und wurde zum [‘tactus] Festival, das auch vom Ulysses-Netzwerk mitgetragen wird, 2019 in Belgien nach Brüssel und Mons eingeladen. Ich konnte dort mit den Brussels Philharmonic in Brüsseldas Stück „A Manifesto Mill und mit dem Ensemble Musiques Nouvelles in Mons das Stück „Échos éloquents“ erarbeiten. Die Wanderschaft im Rahmen des Ulysses-Netzwerkes bietet auch einen Zugang zu anderen ästhetischen Vorstellungen. Ich finde, bei uns hier in Österreich wird wenig über Ästhetik diskutiert. Daher finde ich es interessant zu sehen, welche Stücke in anderen Ländern und Gegenden programmiert werden und wie darüber diskutiert wird. 

Wir befinden uns in so einer Art Spieltechniken-Neobarock im Sinne einer Überladenheit verfremdeter Instrumentalklänge in vielen Werken der Neuen Musik. Bei meinen Reisen versuche ich dann, vor Ort ästhetische Fragen anzusprechen und zu diskutieren. Mein Bestreben ist es schon, aus gewissen Echokammern herauszukommen. Brian Ferneyhough spricht über eine „primitive Expression des Gruppengeists“, die er dort ortet, wo „ohne Rücksicht auf die Werke selbst“ Zustimmung oder Ablehnung artikuliert wird. Gemeint ist der Dunstkreis rund um die Darmstädter Schule. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht ein gewisses ästhetisches Ideal als gegeben betrachten. Wenn jemand sehr stark davon abweicht, dann findet es oft Ablehnung. Es bewegt sich zwar schon etwas im Bereich der Computermusik mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen. Der ästhetische Austausch wird breiter diskutiert als innerhalb der klassischen, traditionellen Neuen Musik, so habe ich den Eindruck. Aber man sollte auch mit den sogenannten konservativen Komponierenden darüber sprechen. Denn es ist allzu leicht, rückwärtsgewandte Positionen abzutun, ohne einen Diskurs zu suchen. Ich glaube, dass ein ästhetischer Diskurs wichtig ist, und dieser nicht in einem ausreichenden Maße stattfindet. Wer traut sich denn heute noch festzulegen, was Schönheit in der Neuen Musik bedeutet? Wir sollten uns dazu bekennen, was wir als schön empfinden, und was nicht.

Welche Reisen als Komponist sind Ihnen denn noch gut in Erinnerung geblieben, waren wichtige Etappen für Sie?

Christoph Renhart: Künstlerisch sehr wichtig war für mich der Workshop INK STILL WET in Grafenegg. Er bietet die hervorragende Möglichkeit, ein eigenes Orchesterwerk selbst zu dirigieren. Ich war zwei Mal dort und habe unglaublich viel gelernt. Das Ambiente ist wirklich perfekt. Der Workshop war eingebettet in ein großartiges, nettes Orchester, in eine Atmosphäre, in der man wirklich gut lernen und seine Arbeit weiterentwickeln kann. Das Erlebnis, einmal einen Auftakt zu einem vollen Blechakkord zu geben, das sollte keine Komponistin, kein Komponist missen. Solche Erlebnisse kann man nicht am Schreibtisch haben; und auch nicht im Konzert. Dafür muss man vorne am Dirigentenpult stehen und erfahren, wie das wirkt. Das verändert künstlerisch etwas in einem: Es verleiht mir einen ganz unmittelbaren Blick auf die Kraft des Orchesters und wie ich diese Kraft steuern kann.

Sonst hat mir ein Aufenthalt in Malta sehr gefallen. Die Insel, die Art, wie die Menschen dort leben, diese Mischung aus italienischer Leichtigkeit und britischer Disziplin, die war sehr, sehr interessant. Die Insel ist sehr dicht besiedelt, es wird dort quasi alles verbaut, es gibt nur mehr ein ganz kleines Stück Wald. Vieles ist sehr kurios, und das ist etwas, das ich in meiner Musik auch suche. Dieses Obskure und Komische. Und das ist in Malta in einer gewissen Art und Weise überall vorhanden. Man kann zum Beispiel die ausgefallensten italienischen Fischsorten, exzellent zubereitet, bekommen ‒ aber dazu eine Schüssel Pommes Frites. Solche Kleinigkeiten fand ich unheimlich spannend. Das versuche ich auch in meiner Musik: Situationen und Klangverhalten zu schaffen, die irgendwie komisch sind. Das, was im Künstlerischen ungefährlich ist ‒ dieses Sinistre, komisch Obskure ‒ kann allerdings im Politischen, wie im Falle von Malta, leicht ins Mafiöse kippen.

Gibt es noch andere, unbesuchte Sehnsuchtsorte?

Christoph Renhart: Einen Ort, den ich noch sehen möchte, ist der Berg Nyiragongo, ein sehr gefährlicher Vulkan nördlich der Stadt Goma im Kongo. Zurzeit herrscht im Kongo ein Bürgerkrieg und ich werde da wohl nicht so schnell hinkommen. Dort gibt es den größten Lavasee der Erde: ein Schauspiel, diese großartige Naturgewalt aus unglaublicher Gefahr und Schönheit. Der Ort ist aber noch in anderer Hinsicht gefährlich: Im südlich davon gelegenen Kivu-See sind in den tiefen Wasserschichten Unmengen an CO2 im Wasser gebunden. Es wird befürchtet, dass sich das Gas lösen und an die Oberfläche dringen könnte. So einen ähnlichen Fall gab es in Kamerun und dabei sind einige tausend Menschen gestorben. Das ist eine unglaublich fragile Situation. Das sind Orte, die mich anziehen, die eine Faszination auf mich ausüben. Eine Faszination, die sich daraus ergibt, dass sie ästhetisch sehr interessant sind, aber zugleich furchteinflößend und unzugänglich.

„DAS KANN DIE MUSIK AM BESTEN ‒ SIE KANN VERGEHEN.“

Das führt doch auch wieder zurück zu dem schon angesprochenen Begriff der Schönheit? Sie beinhaltet und vereint ja auch oft ambivalente Elemente.

Christoph Renhart: Ich würde den guten, alten Faust, den Bund mit dem Teufel, zitieren: „Verweile doch! Du bist so schön!“ In der Schönheit sehe ich auch das Kostbare des Moments. Sobald das Ideal der Schönheit erreicht ist, weiß man aber auch genau, dass sie schon wieder vorbei ist. Es ist ein Zustand, der nur kurz erreicht werden kann. Er muss sich von allen anderen Zuständen abheben, sowohl im Großen wie auch im Kleinen betrachtet. Auf die Musik umgelegt könnte man sagen: Im Großen betrachtet ist ein Stück Musik dann schön, wenn sie uns einen Moment der Aufmerksamkeit beschert. Innerhalb eines Musikstückes kann man dann noch einmal differenzieren. Da findet man dann Momente, die man sich gleich wieder anhören mag. Sie sollen bleiben, aber sie können nicht bleiben. Denn das kann die Musik am besten, sie kann Vergehen. Es bleibt vielleicht die Erinnerung, mehr oder weniger konkret. Aber selbst in der Erinnerung müssen wir die Zeit immer wieder durchlaufen, um zu diesem Moment zu kommen. Schönheit in der Musik ist im Prinzip maßgeblich geprägt durch ihre Fragilität und Vergänglichkeit.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

Links:
Interview auf music austria
Christoph Renhart (music austria Musikdatenbank)

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Interview

Berufsbilder: Komponist

erschienen online auf dem Internetportal des Career Service Centers der Kuntuniversität Graz
csc-kug.at

WAS MACHT MAN ALS KOMPONIST*IN?

Als Komponist konzipiere ich musikalische Werke und lege mehr oder weniger konkret einen Plan fest, wie solche Werke umgesetzt werden können bzw. sollen. Ich fixiere meine kompositorischen Ideen in klassischer Weise in Form einer Partitur schriftlich, gelegentlich auch in Form von Quellcode.  Denkbar ist aber auch, dass ein*e Komponist*in seine oder ihre Werke auf Tonträger einspielt oder sonstwie fixiert.
Wie viele andere Komponist*innen spiele ich meine eigene Musik (als Pianist). Einige meiner Werke habe ich auch selbst dirigiert und aufgenommen.
Da man als Komponist*in in Österreich im Allgemeinen nicht von Kompositionsaufträgen im Bereich der Neuen Musik leben kann – die wenigsten Komponist*innen erhalten gut oder überhaupt bezahlte Aufträge bzw. können ausreichend hohe Kompositionsförderungen lukrieren – geht man als Komponist*in meistens einer anderen zeitintensiven Tätigkeit neben der eigentlichen künstlerischen Arbeit nach, um sein*ihr Einkommen zu erwirtschaften, sei es durch Unterrichten, Dirigieren/Musizieren oder Jobs im Bereich Kulturmanagement etc.
Ich unterrichte – mit großer Freude – an der KUG musiktheoretische Fächer und kuratiere die Konzertreihe für Neue Musik im KULTUM. Darüber hinaus engagiere ich mich ehrenamtlich in Vereinen wie der ÖGZM.

WIE WIRD MAN KOMPONIST*IN?

Die einfache Antwort lautet: Indem man Werke komponiert. Man muss ja nicht bei der Wirtschaftskammer vorstellig werden oder einem Orchester irgendwelche Zeugnisse vorlegen, bevor ein eigenes Werk aufgeführt werden darf. Meistens ist man selbst sein*e erste*r Interpret*in, insofern würde ich meinen, ein Instrument zumindest mittelmäßig zu können ist so etwas wie eine Startrampe. Die etwas längere Antwort ist: Es gilt Werke, Handwerk, Umfeld, Gesellschaft, Geschichte, Traditionen, Spieltechniken, technische Entwicklungen etc. etc. genau und mit größter Neugier zu durchdringen (id est: zu studieren), um zu so etwas wie einer eigenen musikalischen Grammatik kompositorischer Ideen zu gelangen (id est: einen unverwechselbaren Stil zu schaffen). Dazu kommt, dass man sein Metier genau kennen lernen muss, sich Netzwerke aufbauen und auch wirtschaftlich denken soll, um dieser künstlerischen Tätigkeit langfristig erfolgreich nachgehen zu können.

WELCHE FÄHIGKEITEN BRAUCHT MAN DAFÜR?

Ich glaube, es ist eine recht eigenartige Mischung aus Biegsamkeit und Sturheit: Die Freude am Lernen und daran, die eigenen Ideen fortwährend kritisch zu überdenken ist genauso wichtig wie das Beharren auf eigenen Ideen, wenn man sich absolut sicher ist, dass sie gut sind, selbst wenn sie rundum auf Ablehnung stoßen. Die Akademie hat sich oft geirrt, das zeigt die Musikgeschichte, aber irrig wäre es auch, die alten Meister nicht zu hören. Darüber hinaus das Übliche: Eine sehr gute musikalische Vorstellungskraft, ein Gespür für Dramaturgie, eine hohe Sensibilität für ästhetische Fragen, Neugierde (ganz viel davon), und einen guten Schuss Größenwahn gepaart mit dem festen Glauben daran, dass man ein Amazonasschiff über einen Berg ziehen kann (das ist längst erwiesen).

WARUM HABEN SIE SICH ENTSCHIEDEN, KOMPONIST*IN ZU WERDEN?

Ich liebe es, Dinge entstehen zu lassen und nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Egal, was. Ich programmiere auch gerne. Komponist bin ich letztlich geworden, weil ich über das Klavier zur Musik fand und ich mich als Interpret im Bereich der Neuen Musik immer schon pudelwohl fühlte.

WAS MACHT IHNEN DABEI AM MEISTEN SPASS?

Mein liebster Teilbereich beim Komponieren ist, so denke ich, das Instrumentieren. Beim Instrumentieren hat man eine stets angenehme Mischung aus Anstrengung und Weiterkommen. Beim Erfinden gänzlich neuer Abschnitte von Werken hingegen kommt man gerne einmal ins Stocken oder verwirft am Ende eines mühsamen Nachmittags wieder alles, was man bis dahin aufs Papier brachte. Das kann frustrierend sein, ist aber unvermeidlich, wenn einem die Qualität nicht “wurscht” ist. Instrumentieren ist viel dankbarer: Einen 16-stimmigen mikrotonalen Akkord für ein Orchester zu setzen ist auch anstrengend, aber man findet viel selbstverständlicher in irgendeine Lösung hinein. Gleichzeitig kann man dabei auch sehr künstlerisch vorgehen und sich Neues einfallen lassen.

WAS SIND DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN?

Einerseits ist eine sehr große Herausforderung, genügend Zeit zum Schreiben zu haben. Gerade, wenn ich neues Material entwerfe, brauche ich einen freien Kopf und viel Ruhe. Mahler etwa komponierte in den Sommerferien einen Gutteil seiner Symphonien und instrumentierte sie über die restlichen Monate, wenn er Geld verdienen (id est: dirigieren) musste.

Eine andere sehr große Herausforderung ist, Aufführungen an Land zu ziehen. Man kann als Komponist kein abgekapseltes Leben führen, wie man sich das vielleicht gerne verklärend ausmahlern möchte (à la Komponierhäuschen am Wörthersee – heute völlig unerschwinglich). Vielmehr ist man anfangs zumindest Künstler*in, Vertriebsleiter*in, Marketingchef*in, Inkassobüro (wer zahlt schon freiwillig gerne Materialgebühren), Interpret*in, Konzertorganisator*in etc. alles in einer Person.

WELCHEN TIPP HABEN SIE FÜR ANGEHENDE KOMPONIST*INNEN?

Drei Tipps, alle gleich wichtig: Schlagt euch diesen Gedanken aus dem Kopf. Wenn das nicht geht, legt wenigstens Musik vor, die man neben Brahms und Mozart spielen kann. Und hört nicht auf mich, ich bin kein Guru.

Link: Berufsbilder – KUG Career Service Center

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Portrait Christoph Renhart

erschienen in den »Mitteilungen« des Steirischen Tonkünstlerbunds Nr. 41, Graz, September 2020

Gerhard Präsent [Präsident des Steirischen Tonkünstlerbunds, Anm.]: Lieber Christoph, wie waren deine musikalischen Anfänge? Sind deine Eltern Musiker?

Christoph Renhart: Ich komme eindeutig aus einer Muggel-Dynastie. Die ersten musikalischen Meilensteine waren demnach einer inoffiziellen Tradition folgend: Plastikblockflöte, Holzblockflöte und viel später ein guter Flügel, wobei ich anmerken will, dass ich mittlerweile spieltechnisch wieder fallweise gerne zum Plastik zurückkomme, um beispielsweise mandolinartige Klänge mittels aus einer alten ÖBB-Vorteilscard zugeschnittenen Plektrums dem Innenraum des Klaviers zu entzaubern.

GP: … und wann – und wie – hat sich dein Interesse herauskristallisiert, eigene Musik zu schreiben?

ChR: Als Kind entwickelte ich eine gewisse Meisterschaft im Turmbau zu Babel fürs Wohnzimmer. Das Baumaterial war dabei nebensächlich, mir ging es allein um den nächsten Höhenrekord – etliche Messversuche brachten dabei das frisch errichtete Kunstwerk zum Einsturz – und zu meinem großen Glück hatte mir niemand nahegelegt, nach irgendeiner Anleitung zu bauen. Musik kann man meistens erst aufschreiben, wenn man bereits über instrumentale Fertigkeiten verfügt. Heute würde ich vielleicht am Raspberry Pi erste kompositorische Ideen zusammenschustern. Wie man dazu kommt ist letztlich egal und höchstens Grundstein eigener Legendenbildung: Wesentlich ist bzw. war auch für mich die Freude am Umsetzungsprozess eigener Ideen und irgendwann zu lernen, wie man es zielgerichtet angeht, sodass man seine Künste in einer Weise einsetzen kann, die andere Menschen in ähnlicher Weise bezaubert.

GP: Wer waren deine frühesten kompositorischen Vorbilder? (Nur in der Klassik, oder auch in anderen Bereichen?)

ChR: Die Vorbilder sind anfangs oft mit dem Instrumentalunterricht verwoben. Zu den Vorzügen des Klavierunterrichts bei Hildegard Frühwirth am Grazer Konservatorium gehörte, auch einiges über die Komposition zu lernen. Besonders beeindruckt war ich damals von Bachs Fugen, da man recht schnell und anschaulich versteht, wie vertrackt und kunstvoll so ein Musikstück zusammengeflickt ist, insbesondere, wenn es ein_e Lehrer_in versteht, an den richtigen Stellen darauf hinzuweisen. Zum anderen mochte ich Neue Musik insbesondere als Interpret seit immerschon. Musik etwa unseres verstorbenen Vereinsmitglieds Jenö Takacs zu spielen bedeutete mir auch mit der Freiheit des Höhlenforschers in mir bis dahin unbekannte Räume vorzudringen und einen ganzen Atlas weißer Flecken im eigenen Kunstkosmos neu zu kartographieren. Welch ein Geschenk und im Vergleich zur Speäologie komplett ungefährlich! Ich war und bleibe ein neugieriger Mensch. Menschen, die nicht neugierig genug sind, sollen ohnehin nicht Künstler_innen werden, da kommt nix raus.

GP: Du hast dann ein Studium IGP-Klavier (Instrumental- und Gesangspädagogik) an der KUG in Graz begonnen. War da bereits die Absicht vorhanden, auch Komposition zu studieren?

ChR: Komposition zu studieren wäre immer und insgeheim meine erste Wahl gewesen, allein, ich hatte keine Vorstellung, wie man sich der Sache professionell nähert und hatte es daher für mich ausgeschlossen. Das Fach Komposition fand an den steirischen Musikschulen quasi nicht statt. Inzwischen hat sich da wenig, aber doch etwas getan – ein paar engagierte Menschen treiben sehr lobenswerte Initiativen voran – wirklich verankert ist das Fach Komposition in den Musikschulen noch längst nicht. Schade eigentlich, denn niemand wird als armer Vasall geboren, der sich die Alten Meister als die Unerreichbarsten verklärt, indem er nicht mitbekommt, was um ihn herum soeben passiert und entsteht.

GP: Wie bist du dann zu Richard Dünser als Kompositionsprofessor gekommen? Hat dich seine Musik angesprochen – oder gab es (auch) andere Gründe?

ChR: Annamária Bodoky-Krause war in Sachen Musiktheorie äußerst bewandert. Ich erinnere mich mit einem gewissen Schmunzeln, wie sie in der Klavierklasse Stücke am Klavier analysierte, indem Sie beispielsweise Messiaen, Debussy oder Prokofjews 3. Klaviersonate vom Blatt spielte und dazu kommentierte, was gerade passiert: welche Modulation stattfindet, welche Skalen im Raum stehen, welche Akkorde aufeinander folgen, kurzum, was kompositorisch abgeht. Dass wir ihr dabei erstens folgen und zweitens es im selben Sinne ihr nachtun können wurde erwartet (-; Prof. Bodoky-Krause sprach stets davon, ein Stück »nachzukomponieren« wenn man es interpretieren wollte. Das tiefgehende kompositorische Verständnis ist demnach die unabdingbare Voraussetzung, um überhaupt erst eine akademisch tragbare Interpretation zustande zu bringen. Solche Gedanken verfingen bei mir viel schneller als Czernys Kunst der Fingerfertigkeit, was einer exzellenten Lehrerin natürlich nicht entgehen konnte. Also lautete im ersten Studienjahr eine Aufgabe: »Komponiere ein Stück und spiel es mir vor«. Gespielt wurde hinreichend schlecht, sodass ich es lieber Richard Dünser vorspielen sollte. So einfach ist das. Ich erinnere mich noch, dass ich es mindestens genauso miserabel heruntergeklimpert hab und er es wider Erwartens »einfallsreich« fand. Das war zugleich der Moment, als ich verstand, dass große Künstler_innen tatsächlich über die erstaunliche Fähigkeit verfügen zu abstrahieren: Die klare Vision zu haben, was herauskommen könnte.

Richards Musik hat mich mit der größten Selbstverständlichkeit fasziniert. Sie tut es nach wie vor und zu ihren großen Verzügen zählt die Tatsache, dass sie in einer Weise zeitlos gut ist, dass sich jegliche Versuche, sie in irgendwelche Moden einzuordnen einer gewissen Überflüssigkeit bemüßigen. Die größten Komponist_innen haben vollbracht, dass sie ihre Ideen unverwechselbar in Klängen manifestieren, sodass man auch nach kürzester Zeit des Gehörten darüber nicht irren kann, wem sie entflossen sind. Dass sich Stücke wie Richards »Entreacte« oder sein Doppelkonzert zur Untermauerung dieser These qualifizieren, halte ich für zweifelsfrei darlegbar.

GP: Wie war der Unterricht bei Richard Dünser? Mehr technisch – oder mehr ästethetisch?

ChR: In jeder Hinsicht motivierend. Im Prozess des Entstehens einer Komposition müssen verschiedenste Aspekte kritisch und mit der größtmöglichen Offenheit und Offenherzigkeit erörtert werden. Integraler Teil des Unterrichts war zudem auch die analytische und reflektierende Auseinandersetzung mit Werken von Staud über Henze, Franke, Ligeti, Burt, Schnittke etc. bis hin zu Berg und Schubert und damit verbunden der Besuch von Konzerten mit Stücken von zahlreichen Kolleg_innen. Dass meine Musik heute weder wie eine Stilkopie meines Lehrers klingt, noch sich auf verbohrte Weise allen Traditionen zu entschlagen sucht und zudem immer wieder internationale Anerkennung fand, spricht, wie ich meine, klar für die hohe Qualität des Kompositionsunterrichts bei Richard Dünser.

GP: … und weitere Lehrer bzw. Einflüsse?

ChR: Direkt beeinflusst hat mein kompositorisches Schaffen die Arbeit mit Christiana Perai im IGP Masterstudium, insbesondere im Rahmen des Studiums der Musik George Crumbs und der Werke der zweiten Wiener Schule. Selbstverständlich hat sich das mit dem Kompositionsstudium sinnvoll ergänzt bzw. habe ich mein Klavierstudium von Anfang an so angelegt, dass diese Inhalte im Vordergrund stehen sollten. Hier bietet das IGP Studium in Graz den Studierenden eine recht erstaunliche Freiheit an – die man freilich auch annehmen kann.

Wie wir wissen ist Graz ein Mekka der Neuen Musik, ein quasi idealer Ort, um dieses Metier zu erforschen. Von größter Bedeutung ist dabei die Vielfalt, die hier herrscht und die Selbstverständlichkeit, mit der man an der KUG diese Vielfalt nicht nur zulässt, sondern auch kultiviert. Dass einige der bedeutendsten Komponist_innen unserer Zeit hier wirk(t)en färbt natürlich ab und wertet unseren Standort immens auf. Wir sind weltweit vorne dabei und es liegt an meiner Generation, diesen Wissensvorsprung weiter auszubauen, weiterzuforschen und Stücke vorzulegen, die sonst fast nirgendwo entstehen können. Daran arbeiten wir. Es wäre schön, unsere hiesigen Symphonieorchester als Partner zu gewinnen. Glücklicherweise kann man inzwischen ja nach Wien fahren oder nach Klagenfurt, wenn man steirische Symphoniker hören will.

GP: Deine derzeitigen Vorbilder als Komponist – und warum diese?

ChR: Diese Antwort ist unfair all jenen gegenüber, an die ich augenblicklich gerade nicht denke, also: Colin Matthews für seine großartige, wenngleich nicht länger zeitgemäße (da Pluto vor ein paar Jahren zum Zwergplaneten degradiert wurde) symphonische Vervollständigung der Holst’schen Planeten unseres Sonnensystems. Claude Ledoux, den ich letztes Jahr in Belgien kennen gelernt habe für sein wunderbare buntes und virtuoses Klavierkonzert »A Butterfly’s Dream«, das ganz in der großen französischen Tradition steht. Und Thomas Larcher, der völlig zu Recht für Werke wie »Kenotaph« den großen österreichischen Staatspreis bekommen hat. Bitte um Aufführung der genannten Stücke, liebe steirische Symphonieorchester.

GP: Wie würdest du deine Musik – bzw. die Idealvorstellung davon – beschreiben? Was sollen deine Werke ausdrücken bzw. bewirken?

ChR: Ich ringe mir jedes Mal nur unter den größten Anstrengungen ein paar Worte Einführungstext zu meinen Stücken ab. Bitte lest es dort auf meiner Website nach. Noch besser: Hört euch die Stücke an. Meine Musik bewirkt nichts. Nichts als musikalische Erinnerungen – bestenfalls. Vielleicht machen solche Erinnerungen manche Menschen glücklicher oder verärgert. Das kann die Musik selbst nicht beeinflussen. Vielmehr könnte ich es durch gut gewählte Worte oder weniger treffende Worte beeinflussen, wie ihr über meine Musik denkt oder über mich urteilt und in weiterer Folge meine Musik sympathisch oder unsympathisch findet. Ich glaube an eure Freiheit im Denken und werde mich daher hüten.

GP: Hast du irgendwelche Vorlieben bei den Besetzungen, also z.B. für Klavier, Singstimme, Kammermusik, Orchester …

ChR: Tatsächlich habe ich hier klare Vorlieben: Glocken, möglichst große Gongs, Stabspiele, Celesta und Klavier. Kurzum, alles was teuer ist und man fast nie kriegen kann (besonders schön klingen übrigens Plattenglocken, da musste letztens das Brussels Philharmonic passen). Ich fühle mich pudelwohl mit großen Besetzungen, habe dafür eine ganz eigene Vorstellung mir entwickelt und Erfahrung und Kenntnisse im Bereich Instrumentation gesammelt, die es mittlerweile erlauben, eine Orchestrierung kongruent zu meinen Klandideen zu verwirklichen. Es hat dahingehend übrigens enorm geholfen ab und an eigene Werke zu dirigieren.

GP: Du hast ja bereits etliche Preise für dein kompositorisches Werk erhalten. Viele Wettbewerbe verlangen ja neue, unaufgeführte Stücke. Findest du das sinnvoll – oder wäre es nicht besser, einfach die besten Kompositionen zu suchen?

ChR: Hier denke ich sehr kaufmännisch: Wie viel gibt es zu gewinnen, wie groß ist der Aufwand und wie nachhaltig ist so ein Projekt. Ich unterstütze weder unmoralische Wettbewerbe durch meine künstlerische Arbeit noch jene Initiativen, die Stücke für irgendwelche absurden Besetzungen suchen, welche dann wohl bis zum St. Nimmerleins-Tag in der Versenkung verschwinden. Die besten Werke zu suchen sollte selbstverständlich sein, wir müssen uns aber nicht der Illusion aussetzen, dass alle Veranstalter_innen und Dramaturg_innen das stets einschätzen können. Neue Stücke zu programmieren wird als teuer und risikobehaftet vonseiten vieler Veranstalter_innen angesehen, deshalb will man es gewöhnlich mit möglichst viel Pomp vermarkten. Das ist schade, es könnte anders sein: In jedem Konzert ein weniger bekanntes Werk neu entdecken zu können würde mich als Vertreter des jungen, neugierigen und interessierten Publikums viel öfter ins Symphoniekonzert locken. Es müssten freilich gute Stücke sein, die es aber en masse gibt! Dazu braucht es 1) eine klare, nach außen getragene Vision seitens der Konzerthäuser 2) sehr gute und ständig wachsende Repertoirekenntnisse 3) Programmverantwortliche, die hie und da auch einmal in kleineren Konzerten mit Neuer Musik auftauchen um sich Punkt 2) zu widmen.

GP: Schreibst du manchmal auch extra ein Werk für so eine Gelegenheit – oder reichst du ein Stück einfach dafür ein, wenn es von der Besetzung oder den Vorgaben her passt?

ChR: Ich handle, wie beschrieben, dahingehend opportunistisch. Dieser Weg war bislang zumindest in mancherlei Hinsicht erfolgreich und verbunden mit exzellenten und vereinzelt auch schlechteren Aufführungen. Für einen meiner schönsten und prestigeträchtigsten Erfolge letzes Jahr beim 66. International Rostrum of Composers musste ich nichts tun, da Ö1 ohne mein Zutun mein Werk zu diesem Radiowettbewerb einreichte.

GP: Wie siehst du die Szene zeitgenössischer Musik heutzutage? Obwohl es einige Fortschritte in der Akzeptanz neuer Werke gibt, führt sie doch noch stets ein Randdasein … man muss sich ja nur die Nische „Zeitton“ im ORF/Ö1 um 23.03 h – nicht unbedingt zur populärsten Sendezeit – anschauen, neben der nur ausnahmsweise etwas passiert. Auch in den meisten Konzert- und Veranstaltungsreihen sind Werke lebender KomponistInnen die Ausnahme, Mozart, Beethoven, Brahms die Regel … und ein Ligeti bereits eine Seltenheit.

ChR: Die zeitgenössische Musik führt ein Randdasein, weil sie im symphonischen Betrieb quasi nicht vorkommt. Das irritiert. Gleichzeitig ist das Abspulen aller Beethoven-Symphonien rechtzeitig zum Beethoven-Jahr so selbstverständlich wie das Abspulen aller Beethoven-Symphonien in jedem anderen Jahr, das kein ganzzahliges Vielfaches von 1770 oder 1827 ist. Das irritiert. Um Richard Dünser aus einem im »Standard« abgedruckten Interview nachzureden: Warum eigentlich kein Ligeti-Jahr heuer? Das irritiert. Die beste Klavierliteratur, die großteils nach 1950 entstand (man bedenke nur, dass die Anzahl publizierter Werke eher exponentiell als linear wächst – und warum sollte die Kunst dabei grundsätzlich schlechter werden, es ist doch wie in anderen Disziplinen eher umgekehrt) steht nur ausnahmsweise auf den Programmzetteln von Studierenden-Klassenabenden. Das irritiert. Ensembles könnten sich durch geschickte vertragliche Aushandlungen mit Komponist_innen ein Repertoire an Stücken und Bearbeitungen zusammenstellen, das nur sie allein spielen dürfen und sich somit einen eklatanten Marktvorteil durch eine Monopolstellung sichern. Solche Überlegungen finden – bei jungen Leuten! – oft gar nicht statt. Das irritiert. Gleichzeitig üben viele Konzertfach-Absolvent_innen ihren Traumberuf nicht aus, weil sie nie gelernt haben, ein adäquates Geschäftsmodell für ihre selbständige Tätigkeit, die ihren individuellen Stärken angemessen ist, zu entwickeln und eventuell über den Tellerrand von Beethoven und Chopin und der sogenannten tonalen Musik im Allgemeinen hinaus zu blicken. Das irritiert. Man bemerke: Ich betrachte Neue Musik hier überall als möglichen Teil einer Lösung.

Den ORF und ganz besonders Ö1 sehe ich auf der Seite der Komponist_innen. Trotz Sparzwangs ist das Bekenntnis zur Neuen Musik beim Sender ein beachtliches und im internationalen Vergleich ist das Programm dahingehend sogar herausragend. Verbesserungswürdig finde ich hingegen die Kuratierung der RSO-Konzerte und die Vermarktung der Rundfunkproduktionen im Internet – letzteres wird allerdings noch durch ein nicht mehr zeitgemäßes ORF-Gesetz maßgeblich erschwert.

GP: Sollte es nicht möglich sein, in den meisten – auch traditionellen – Programmen mit gutem Willen wenigstens ein zeitgenössisches Werk zu spielen … mit minimal 20% der Konzertdauer?

ChR: Das ist eine Frage des politischen Willens im Sinne eines positiv zu wertenden, da unseren Standort als Kuturnation maßgeblich definierenden Patriotismus’: Eine Forderung, jene Konzerte, bei denen die Spielzeit von Werken tantiemenbezugsberechtigter AKM-Mitglider weniger als ein Fünftel der Gesamtspielzeit beträgt nicht durch öffentliche Mittel zu subventionieren, kann ich nur unterstützen.

GP: Als die Corona-Krise begann, mit heftigen Auswirkungen auf uns alle, habe ich mir gedacht: „Wenn der ORF jetzt seinen Anteil an Musik lebender Künstler deutlich erhöhen würde – nicht nur auf zeitgenössischem Gebiet, sondern auch in der U-Musik, z.B. auf Ö3 – dann wäre das eine wirkliche Hilfe. Ist aber nicht passiert.

ChR: Wir dürfen die Initiativen, die es gab nicht übersehen: Ö1 brachte eine ganze Reihe an Zeit-Ton Sendungen zur Unterstützung österreichischer Urheber_innen; zum Bereich der Popularmusik kann ich mich nicht äußern. Ich nehme an, dass eine so breite Unterstützung vonseiten der Radio- und Fernsehprogramme, dass alle Bezugsberechtigen zum Zug kämen, rechnerisch nicht möglich wäre bzw. in Anbetracht der Vielzahl an Musikschaffenden auch die Sendezeit nie und nimmer reichte. Institutionen wie AKM oder die SKE haben sehr engagiert, schnell und im Vergleich zu anderen Stellen unbürokratisch reagiert und Anträge abgewickelt – wie ich aus erster Hand weiß: Unter immensem persönlichen Einsatz.

GP: Wir sind jetzt beim aktuellen Thema … Was ist dir persönlich durch die Krise alles entgangen, abgesagt, verschoben worden?

ChR: Eine Aufführung beim Festival Flagey New Music Days im großen Rahmen in Brüssel, geplant für April, wurde ersatzlos gestrichen. Geplant ist hingegen, eine für Graz und Wien anberaumte Aufführung eines Liedwerks durch das Grazer Ensemble Zeitfluss nächstes Jahr nachzuholen. Viel schwerer wiegt der Umstand, dass das Sozialleben, das Networking und der Optimismus vom Radar verschwunden sind. An das erfolgreiche Jahr 2019 anzuknüpfen wird auch im kommenden Jahr nicht möglich sein.

GP: Oder hat es auch positive Auswirkungen gegeben? Der Unterricht an der Unversität mit home-office und online-Unterricht hat ja wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen, keinesfalls weniger (so zumindest mein Eindruck). Also eine Kreativschub habe zumindest ich dadurch nicht verspürt.

ChR: Dieses extrem gefährliche Virus hat zahllose Menschenleben gefordert. Darin kann ich absolut nichts Positives erkennen. Dem Unterricht im letzten Quartal hingegen durchaus, wenngleich mir der persönliche Kontakt zu den Studierenden wirklich fehlt, der konstruktive Diskurs und für mich selbstverständlich auch der Besuch von Konzerten der Studierenden. Nichtsdestotrotz haben wir im letzten Jahr viel gelernt und uns in aller Redlichkeit darum bemüht, die Studierenden bestmöglich zu betreuen. Es hat viel Zeit und Energie in Anspruch genommen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass sich das Lehrangebot auch wesentlich weiterentwickelt hat und wir in den kommenden Jahren sowohl methodisch als auch im Hinblick auf elektronische Unterrichtsmaterialien etc. mehr und manches vielleicht sogar in besserer Qualität anbieten können.

GP: Gehen wir einmal davon aus, dass sich das Musik- und Konzertleben ab Herbst zumindest einigermaßen wieder auf die (wenn auch wahrscheinlich neue) Normalität einpendelt: was gibt es für Projekte in näherer und weiterer Zukunft?

ChR: Gehen wir lieber nicht davon aus. Dahingehend ist mein nächstes Großprojekt ordentlich php zu lernen und mich mit einigen JavaScript Libraries vertraut zu machen.

GP: Du bist auch als Dirigent bei eigenen Werken aktiv. Hast du da auch ein Studium absolviert, oder war der wichtigste Einfluss dafür der Kurs in Grafenegg bei Matthias Pintscher und Brad Lubman? Was bedeutet Dir dirigieren?

ChR: Dirigieren ist eine Möglichkeit, das eigene Werk genau so umzusetzen, wie man es haben will. Dieser Aspekt ist auch für die Musiker_innen meistens höchst interessant, auch weil man als Interpret_in gerne das Gefühl hat, ein Werk genau im Sinne des_der Komponist_in zu spielen. In Grafenegg ist das Tonkünstler-Orchester jedes Jahr mit großer Freude und großem Einsatz bei der Sache: Ich hatte den klaren Eindruck gewonnen, dass ein Projekt wie »Ink still wet« bei den Orchestermusiker_innen abwechslungsreich, beliebt und für sie spannend ist. Man arbeitet dort mit den besten: Mit den besten Dirigent_Innen für Neue Musik – die selbst zugleich auch renommierte Komponist_innen sind, mit einem wirklich exzellenten Symphonieorchester, das auch in der Lage ist, spieltechnische Herausforderungen routiniert und sauber umzusetzen, und mit hochinteressanten Teilnehmer_innen des Workshops aus aller Welt, deren Stücke die Kursleiter_innen ausgewählt haben.

Dirigieren bedeutet die 1:1-Erfahrung, wie eine kompositorische Idee im großen Ensemble aufgeht. Dazu braucht man die entsprechenden handwerklichen Fertigkeiten, viel wichtiger aber ist: eine akkurate Vorstellung des Stücks. Hier haben wir Komponist_innen bei unseren eigenen Werken natürlich einen immensen Startvorteil. Hinzu kommt, dass man probentechnisch sich enorm viel abschauen kann, wenn zB. Clement Power mit dem Klangforum das eigene Stück einstudiert oder Peter Keuschnig mit dem Ensemble Kontrapunkte.

GP: … und deine Tätigkeit als Pianist? Da spielst du ja nicht nur eigene Werke, sondern – daran erinnere ich mich gut – zB. auch einen Liederabend „Schubert lange Schatten“ in Weiz … Gibt es da weitere Vorhaben?

ChR: Nichts Konkretes. Soeben ist die Einspielung meines Klavierzyklus’ »XXI Orakel der Nacht« beim Label VMS auf CD erschienen. Aber ich bin Komponist, diese Tätigkeit lässt kaum Platz für andere große künstlerische Vorhaben, zumal mein Anspruch an die eigene Kunst stets der höchste ist. Ich spiele aber nach wie vor gerne und kehre immer wieder auf die Bühne zurück, da mir die direkte künstlerische Kommunikation mit dem Publikum großen Spaß macht und ich auch das Gefühl habe, dass es umgekehrt für die meisten Zuhörer_innen ein willkommenes Erlebnis ist und auch etwas Besonderes darstellt, wenn jemand seine eigene Musik authentisch und mit spürbarem Enthusiasmus darbietet. Zudem soll man niemals die Neugierde und die Abenteuerlust der Menschen unterschätzen. Als Komponist_innen wissen wir freilich, wie man sie stillen kann und zaubern immer wieder neue Stücke aus dem Hut.

GP: Du bist, wenn man deine Werkliste betrachtet, ein fleißiger Komponist. Wie ist deine Arbeitsweise? Komponierst du eher auf Auftrag oder für bestimmte Gelegenheiten – oder einfach, wenn du gewisse Ideen hast?

Ein einziges Stück entstand bislang im Rahmen eines Kompositionsauftrags. Ein Auftragswerk zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass ein Auftraggeber dafür bezahlt, dass dieses Werk entsteht. Einige Werke entstanden im Rahmen einer öffentlichen Förderung (Staatsstipendium, Arbeitsstipendium, SKE-Förderung). Ideen zu neuen Werken habe ich immer, aber ich wiege genau ab: Wird es aufgeführt? Ist es wieder- oder weiterverwertbar (beispielsweise orchestrierbar)? Könnte ich selbst eine Aufführung organisieren bzw. das Stück spielen? Würde es aufgenommen bzw. auf Tonträger eingespielt? Wer würde es spielen? Wo würde es uraufgeführt werden? Würde es eventuell gesendet?

GP: Bist du ein langsamer oder schneller Arbeiter? Passieren hinterher, also nach Abschluss eines Werkes, noch viele Korrekturen – oder ist ein Stück quasi fertig, wenn du beim Doppelstrich angelangt bist?

ChR: Ein Stück ist nie ganz fertig, allein, weil sich die eigene Vorstellung verändert. Älter wird man auch. Einige Stücke überarbeite ich zu gänzlich neuen Stücken mit neuer Besetzung, neuen Formteilen etc.. Boulez ist manchmal ähnlich verfahren, aber weder will ich es verallgemeinern, noch mir hier irgendein Vorbild suchen: Angestrebt muss immer die höchste Qualität werden; weder das Verwursten, noch übereifriges Hudeln, noch sonstwelche künstlerischen Abstriche sind zielführend. Wenn ein Stück nichts taugt, wird es verworfen.

GP: Du scheinst auch einige Anregungen aus der Literatur zu bekommen – oder irre ich mich?

ChR: Wie man eingangs dem Interview entnehmen kann, muss mein literarischer Geschmack prinzipiell in Zweifel gezogen werden. Als anregend empfinde ich zur Zeit das Buch: »Der letzte Mann, der alles wusste« von John Glassie und ein damit verbundenes Werk Umberto Ecos, nämlich »Die Insel des vorigen Tages«. Ob das musikalisch noch zu etwas führen wird, steht in den Sternen, aber beide Bücher sind mir äußerst anregend.

GP: Bei welchem Musikstück (oder bei mehreren) denkst du dir: „So etwas möchte ich auch komponieren können!“

ChR: Ich nehme für mich in Anspruch professionell zu arbeiten. Das bedeutet insbesondere, dass ich das, was ich komponieren möchte zu Papier bringen kann.

GP: Bedienst du dich bei der Verbreitung/Bewerbung deiner Musik auch der neuen Medien (wie facebook, youtube, instagram etc.) – und wie siehst du die Möglichkeiten? Positiv, negativ? Musik scheint ja immer selbstverständlicher „gratis“ und immer verfügbar zu werden … nur die Urheber haben meist nichts davon.

ChR: Facebook macht mir manchmal Spaß und zugleich hadere ich mit einigen Aspekten dieser Plattform. Nun, wer nicht. Mit dem Widerspruch aus Likeblase und Hassoase müssen wir wohl umgehen. Leider ist die Musikwelt und dazu zählt auch die kleine Welt der Neuen Musik (selbsternannte Avantgarde eingeschlossen) eine durch und durch konservative, die es nicht verstand, bis heute, die neuen Medien zur Vermarktung ihrer Interessen kosteneffizient zu nützen. Dies hat vielfältige Ursachen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Fakt ist, die Softwareunternehmen haben es beispielsweise geschafft, ihre Produkte trotz open source Kultur höchst profitabel zu vertreiben, etwa durch Abo-Modelle. Ich glaube, wir können es noch besser machen.

GP: Herzlichen Dank! Wir freuen uns auf deinen Auftritt beim „Selfies“-Konzert am 18. Oktober.

Link: Publikationen des Steirischen Tonkünstlerbunds

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Interview

Jeunesse-Interview zur Uraufführung des Streichquartetts »Epitaph for Ovid Nase«

Im Rahmen der Uraufführung des Streichquartetts »Epitaph für Ovid Naso«, das 2015 mit dem Kompositionspreis – ausgeschrieben von der Jeunesse, der Alban Berg Stiftung und dem Hugo Wolf Quartett – ausgezeichnet wurde, führte Albert Seitlinger für die Jeunesse mit dem Komponisten ein Interview rund um das Werk, das am 16. Oktober 2016 im Wiener Konzerthaus vom Hugo Wolf Quartett uraufgeführt wurde.

»Epitaph für Ovid Naso« ist deine zweite musikalische Reflexion über das Leben des römischen Dichters Ovid, der einen Großteil seines Lebens im Exil am Schwarzen Meer verbringen musste. Was fasziniert dich an Ovid?

Ovid hat stur an die Kraft seiner Kunst geglaubt und sich der Hoffnung nie entschlagen, dass sie es ihm einst erlauben würde, nach Rom zurückzukehren. Dass es dazu nie kommen sollte, zeigt einen Widerspruch auf, dem wir in der Kunst oft begegnen: Einerseits ist sie ein zahnloses Mittel ohne politische Macht. Andererseits aber hat nur Ovids Kunst überdauert. Mich fasziniert, dass Kunst überall gedeiht und anscheinend alles aushält.

Wie äußert sich diese Faszination für Ovid in der Musik?

Was in der Musik am »Ohrenscheinlichsten« zum Ausdruck kommt, sind Klänge. Gleichzeitig suchen wir nach einem Darunter. Für das Streichquartett dachte ich mir eine Geschichte aus, die in Ovids Welt, am Weltende, in der Kargheit der vom Meer umspülten Wüste spielt. Am Ende entschwindet die Geschichte in den Hintergrund. An der Oberfläche bleiben möglichst lebendige und atmende Klänge stehen, in denen man wie im Kaffeesud lesen kann – und finden!

Am Ende von »Epitaph für Ovid Naso« klingt zur Bezeichnung »Wienerisch« ein Walzer im Stile Gustav Mahlers an. Ein doppelter Boden unter Ovids Füßen?

Das Streichquartett trieft vor Nostalgie. Damit steht es ganz im Geiste Ovids, der nichts sehnlicher wollte als »zurück«. Vielleicht ist das der Orakelspruch aus der Figur Ovids: Es geht nie »zurück«! Der Katzenjammer, mit dem man sich immer schon nach dem Vergangenen gesehnt hat, ist lächerlich und grotesk. Deswegen geht Ovids Welt ein bisserl im Dreivierteltakt unter. Aber in Wien passiert das, wie Mahler wusste, ohnehin ein paar Jahre später.

Deine Musik findet ihre Inspiration oft in anderen künstlerischen Ausdruckssphären wie Literatur, Film und bildender Kunst. Wie beeinflussen sich diese Künste in deinen Werken?

Die verschiedenen Kunstsparten sind sehr unterschiedlich und können verschiedene Inhalte gut bis gar nicht vermitteln. Musik und Film sind eng verwandt, da beide Formen zeitgebunden sind. Interessant ist also, wie man Prinzipien nicht zeitgebundener Kunstformen auf ein Musikstück übertragen kann. Denken wir an die Perspektive in der Malerei: Nehmen wir eine akustische Perspektive von Klängen oder Klangzusammenhängen wahr? Wie beeinflusst ein harmonischer Verlauf diese Wahrnehmung? Denken wir an Farben: Erkennen wir in der Sättigung eines Farbtons eine Analogie zur Periodizität eines Klangspektrums? Inwieweit kann ich das kompositorisch lenken, um daraus eine harmonische Struktur zu schaffen, die auf die Dramaturgie meines Werkes einwirkt?

Du bist selbst in den Bereichen digitale bildende Kunst und Grafik tätig. Was bedeutet für dich das visuelle Element in der Kunst?

Was wir sehen, auch während wir Musik hören, beeinflusst unsere Wahrnehmung entscheidend. Das visuelle Element spielt immer eine Rolle, selbst wenn man im völligen Dunkel Musik hört. Dann nämlich hören wir sie erst recht anders. Denken wir nur an das Werk »in vain« von Georg Friedrich Haas. Das Ambiente eines Konzerts, die Beleuchtung während der Aufführung, die Gesten eines Solisten oder Dirigenten, all das ist mitentscheidend für die Wirkung eines Stückes und Teil der Interpretation. Man kann diese Parameter als Komponist festlegen; in jedem Fall aber muss man sie mitdenken und ihren Einfluss auf die Entfaltung des Stücks abschätzen können.

Welchen Einfluss übt für dich als Pianist das Klavier, seine Klangsphäre und Spieltechnik auf deine Musik aus?

Ich komponiere fast alles auf zwei im Vierteltonabstand gestimmten Klavieren. Ich will jeden Klang hören, bevor er auf den Bildschirm kommt und greife dabei auf das einzige Instrument zurück, das ich einigermaßen vernünftig bedienen kann. Ansonsten ist dieser Prozess ganz abstrakt. Das Instrumentieren findet in einem späteren Schritt am Schreibtisch statt. In vielen meiner Ensemblestücke sind dennoch Klavier bzw. Stabspiele, Röhrenglocken und Gongs äußerst wichtige Instrumente, deren Klangfülle und orchestrale Virtuosität ich sehr schätze.

In mehreren deiner Werke arbeitest du aktiv mit zeitgenössischen Schriftstellern zusammen. Wie spielen dabei Musik und Literatur zusammen?

Unter den 1001 Arten, Worte mit Musik zusammenzubrauen, suche ich fortwährend nach Rezepten, die aus beiden Zutaten ein Elixier formen, das stärker ist als seine beiden Komponenten. Musik ist flüssige Emotion. Ein Text kann ihr präzise Bedeutungen zuweisen und semantische Zusammenhänge verknüpfen, kurzum: sie bis ins Unerträgliche intensivieren. Ich bekenne mich zum Pathos. Ich vermisse es heute oft. Musik ist die einzige abstrakte Kunst, die mich zu Tränen rühren kann.

Interview: Albert Seitlinger / Jeunesse.